2. Bewertung des Englisch Grammatiktrainers aus der Sicht der
Verwendung für den Unterricht in Pflichtschulen(AHS, HS)
2.1. Vom Gebrauch des Grammatiktrainers
Obwohl in der Einleitung zum Grammatiktrainer aus der Reihe
"Interaktive Sprachreisen" der Firma Digital Publishing mit Sitz in München
keine Anleitung und Orientierungshilfen für die Verwendung des Programms -
Manuals/Handbücher, wie man sie bei vergleichbarer Unterrichtsliteratur findet, waren
nicht verfügbar- angegeben ist, und obwohl bei der Anrede durch den virtuellen
Grammatikinstruktor tatsächlich jeder Englisch Interessierte gemeint sein kann, läßt
doch der Inhalt und die Aufteilung der Grammatikkapitel zwei Zielgruppen erahnen.
Es sind dies einerseits Erwachsene, die im Sinne der Verbesserung und
Auffrischung ihrer Englisch Kenntnisse (Intermediate und Pre-advanced Level) einen
alternativen Grammatikkurs vorziehen: die Aufbereitung erfolgt im modernen multimedialen
Sinn, besitzt einen eigenen (virtuellen) Trainer und kann unabhängig von einem
Abendkurs/-schule absolviert werden.
Andererseits will sich das Programm durchaus als Ergänzung und
Abwechslung zum normalen Regelschulunterricht präsentieren.
Es versucht die traditionell sehr technisch und trocken erlebten Kapiteln der Grammatik
mit einer den Schülern entgegenkommenden lernfrischeren Umgebung zu verbinden:
Landkarten, Bilder international bekannter Regionen und Städte in den USA, sowie ein
selbstkontrollierbarer Lehrer oder "pacer" Larry aus San Diego Kalifornien
sollen schwerpunktgemäß genügend Motivation erzeugen, sich mit den Grammatikkapiteln zu
befassen.
Damit muß sich das Programm jedoch den Anforderungen des modernen
Unterrichts stellen, denn es tritt aus dem Schatten der kommerzialisierten Schnellkurse
heraus und erhebt den Anspruch eines Unterrichtsmediums für grammatische Strukturen zur
Bedeutungserfassung und Ausdruckssicherung der Fremdsprache.
Abgesehen von der Vielzahl an Evaluationskriterien, die nur all zu oft
die multimedialen Techniken für Unterrichtssoftware unter die Lupe nehmen, empfinde ich
es hingegen als zielführend, den Schwerpunkt meiner Bewertung auf die didaktischen
Grundsätze zu legen.
Die allgemeinen didaktischen Grundsätze des österreichischen
Lehrplans sowie darüber hinausgehende allgemein anerkannte didaktische Grundsätze einer
demokratischen Gesellschaft im Bereich der Erziehungswissenschaft (und die Verwendung
moderner Technologien zur Verwirklichung dieser didaktischer Prinzipien) erscheinen mir
für die Bewertung dieses Programms äußerst hilfreich.
2.2. Allgemeine didaktischen
Grundsätze für die Bewertung des Grammatiktrainers
Der österreichische Lehrplan beinhaltet neben den Allgemeinen
Bestimmungen (Art und Gliederung des Lehrplans, Unterrichtsprinzipien, Führung in
Leistungsgruppen, Unterrichtsplanung und Förderunterricht) und dem Allgemeinen
Bildungsziel (Befähigung und Bewußtseinsbildung der Schüler durch die Hinführung
zu Mündigkeit, Verantwortungsbewußtsein und zur notwendigen Einsicht in die Grundfragen
seiner Existenz) auch die Allgemeinen Didaktischen Grundsätze.
Letztere dienen dem Lehrer als Hilfe und Orientierung bei der Planung,
Gestaltung und Kontrolle der Unterrichts- und Erziehungsarbeit unter Berücksichtigung
folgender Gesichtspunkte:
| Vermittlung des Lehrstoffes entsprechend dem Stand der Wissenschaft; |
| Anstreben einer gemeinsamen Bildungswirksamkeit aller Unterrichtsgegenstände; |
| Anschauliche und gegenwartsbezogene Gestaltung des Unterrichts; |
| Anleitung der Schüler zu Selbsttätigkeit und Mitarbeit in der Gemeinschaft; |
| Hinführung der Schüler zu den ihren Anlagen entsprechenden, nach Möglichkeit besten
Leistungen; |
| Sicherung des Unterrichtsertrages als Grundlage weiterer Bildung durch geeignete
Methoden, den zweckmäßigen Einsatz von Unterrichtsmitteln und entsprechende Übungen. |
2.2.1. Positive Kritik
Der Englisch Grammatiktrainer, eingesetzt als Teil des
Englischunterrichts im Bereich der Grammatik neben den traditionellen Schwerpunkten
Hörverstehen, Leseverstehen, Sprechen und Schreiben, erfüllt zumindest einige dieser
Forderungen in folgender Hinsicht:
| Das Lernprogramm vermittelt den Lehrstoff in anregender Form durch den Einsatz
multimedialer und interaktiver Komponenten, die die selbständige Erarbeitung des
Grammatikkapitels sichern. In diesem Sinne gibt nicht der Lehrer, sondern das Programm
selbst die konkrete Anleitung zum selbständigen Arbeiten, unterstützt durch einen
virtuellen Lehrer. Weiters wird durch die Abstufung der Kapitel in Schwierigkeitsgrade
sowie der Verfügbarkeit der Korrektur- und Hilfeoption der Schüler gemäß seinem
Leistungsniveau gefördert und dazu angehalten, nach seinen besten Leistungen zu streben,
wiederum unter der Leitung seines eigenen persönlichen Tutors. Der Schüler bestimmt
dabei selbst das Tempo. Die Leistungsdifferenzierung sowie die Zeit der Aneignung eines
Grammatikteils bestimmt ebenfalls der Schüler selbst. Raum zum Verarbeiten des eben
Gelernten sowie weitere Übungstätigkeit zur Sicherung des Unterrichtsertrages wird vom
Programm in umfassender Form bereitgestellt. |
| Das Programm trägt zu den Verhaltensmomenten eines gebildeten Menschen zumindest in der
Weise bei, daß es sich für die Erarbeitung und Steigerung der Produktivität,
Leistungsfähigkeit und Rationalität verwenden läßt. Es leistet im Bereich der
Fremdsprachenbildung den Beitrag der Aneignung von Fertigkeiten, die für die
Sprachausübung konditionell (Bedeutungserfassung der Sprache) sind. Die Schüler lernen
des weiteren planvoll und systematisch und setzten sich selbständig mit den vorgegebenen
Inhalten auseinander. Sie lernen die Informationsquelle sachgerecht zu nutzen und können
Freude an der eigenen Arbeit und Leistung entwickeln. |
| Der (nicht-virtuelle) Lehrer kann bei richtiger zeitlicher und
inhaltlicher Vorbereitung dieses neuen Unterrichtsmediums in erheblichem Ausmaß
differenzieren und seine Schwerpunkte auf die Probleme der stärkeren und auch
schwächeren Schüler durch konkrete
weiterführende Arbeit auf der Basis des Programms konzentrieren. Fortschritte können
individueller überwacht werden, da der Basisteil durch einen eigenen virtuellen Lehrer
übernommen wird.
|
2.2.2. Negative Kritik
Der Englisch Grammatiktrainer, eingesetzt als Teil des
Englischunterrichts im Bereich der Grammatik neben den traditionellen Schwerpunkten
Hörverstehen, Leseverstehen, Sprechen und Schreiben, erfüllt zumindest einige dieser
Forderungen in folgender Hinsicht NICHT:
| Es ist zu bezweifeln, ob die hier vorliegende interaktive Vermittlung des
Grammatiklehrstoffes dem Stand der Wissenschaft entspricht. Abgesehen davon, daß
schulische Inhalte sowie deren Vermittlung ständig dem Stand der Wissenschaft hinterher
hinken, muß doch darauf hingewiesen werden, daß diese isolierte Form des
(Lehrbuch-)Lernens keineswegs dem Status- Quo, geschweige dem einem State -of -the
Art des Lehrens und Lernens entspricht. Interaktive Lernkomponenten aus dem
multimedialen Lernbereich, so sehr sie dem modernsten Stand der Technik auch entsprechen
mögen, sind doch ohne den richtigen didaktischen Unterbau von geringem Bildungswert und
können so nicht über ihre isolierte Einwegbildung, wie auch in diesem Programm
präsentiert, hinweg täuschen. Selbst wenn es sich beim Grammatiklernen bloß um einen
ganz bestimmten Aspekt des Fremdsprachenerwerbs handelt, so schaffen doch gerade hier die
neuen Medien die Möglichkeit, bisher vermißte und verharmloste Unterrichtsprinzipien in
den Vordergrund zu rücken. Diese Chance wurde mit diesem Programm nicht wahrgenommen. |
| Die Unterrichtsgestaltung im Fremdsprachenunterricht soll wie der Gegenstand selbst
lebendig und interessant sein, anschaulich und gegenwartsbezogen. Es handelt sich um ein
ständiges Erarbeiten und Verarbeiten von Inhalten, die mittels Themen zur Förderung von
Problembewußtsein und der Erlebnisfähigkeit sowie zur Entfaltung der schöpferischen
Kräfte der Schüler beitragen. Unterricht soll in diesem Sinn nicht eine bloße Abfolge
von Reproduktionen der Lehrinhalte sein. Gerade das hat aber das Programm mE nicht im
Griff. Trotz interaktiver Kompetenz des Grammatikkurses bleibt der Schüler bei der
bloßen Reproduktion der Lerninhalte hängen, "Grammar- Awareness" oder
"Consciousness-Raising" durch Task-Based Learning (TBL) sind dem Programm
völlig fremd. |
| Softwaregestaltung, die sich hauptsächlich am (schnell erschöpften) Neugierverhalten
und Spieltrieb der Adressaten orientiert, geht mE am eigentlichen Potential der neuen
Technologien und Medien vorbei. Eine Reise durch die USA mit tollen Bildern und Sound sind
zwar ein Anreiz für die ersten Arbeitsstunden mit dem Programm. Jedoch eröffnet gerade
die Computertechnologie eine noch nie in der Form dagewesene Vernetzung sämtlicher
Wissensgebiete. Und diese Möglichkeit zur Vernetzung fehlt hier. Das daraus exemplarische
Lehren und Lernen durch die Erarbeitung von Allgemeinprinzipien aus dem abrufbaren
Erfahrungsbereich, das methodenorientierte Lernen durch die Aneignung von Verfahrensweisen
des Lernens und die reflexierte Verarbeitung des Erfahrenen durch den Schüler bzw. die
Schüler untereinander, sind heute gerade durch die modernen Technologien ein Stück weit
mehr Wirklichkeit geworden. Lernprogramme haben diesen Prinzipien Rechnung zu tragen. Sie
sollen diese Prinzipien ermöglichen helfen und nicht schon längst Dagewesenes, wenn auch
in anschaulicher Form, als Neuheit verkaufen.
|
| Die Sozialformen des Lernens mit Bezug auf die Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit ist
mittels Intranetze und WWW zu einer über die bisher bekannten Grenzen hinausgehende
Realität des lebenslangen Lernens geworden. |
Kommunikationsdienste wie Newsgroups und Emaildienste sorgen für das
Ausbrechen aus der semi- realistischen Welt des Klassenzimmers und mehr denn je ist ein
projektorientierter Unterricht, der im besonderen geeignet ist, die Fähigkeiten und
Fertigkeiten der Schüler zu fördern, möglich geworden.
Auch im Bereich der Grammatik als Teildisziplin kann gerade durch das
Austauschen über gefundene Ergebnisse und besserer Anwendung des Erlernten gewissen
Schlüsselqualifikationen entsprochen werden. Selbständigkeit, individuelle und
kollektive Selbstorganisation im Unterricht, Problemlösefähigkeit, die neue Form der
Kommunikationsfähigkeit sowie die Entwicklung der Bereitschaft zu lebensbegleitendem
Lernen sollten auch durch dieses Programm gefördert werden. Der interaktive Ausflug zu
weiterführenden Homepages im Internet fehlt zum Beispiel völlig, auch wird die
Auseinandersetzung des Gelernten nicht durch eine "Groupware Environment"
unterstützt, die den Schülern das gemeinsame Arbeiten an den Problemstellungen
ermöglichen würde.
| Ein wichtiges Element wäre die Mitgestaltung des Programms durch den Lehrer. Um das
Programm im Sinne eines "Partnership-Models" (Lehrer und Schüler gemeinsam mit
dem neuen Medium) zu verwenden, müßten gewisse Authorship- Rechte für den Lehrer
geklärt werden. Das Programm sperrt dynamische Lehrer in sein Konzept und läßt keine
Tür für zumindest leichte Lehr- und Lerninhalts Veränderungen zu, die so wichtig für
die Anpassung an bestimmte Themen (Inhalt plus Zielstellung) wären. |
2.2.3. Conclusio
Zusammenfassend darf gesagt werden, daß der getestete Englisch
Grammatiktrainer zwar auf einige spezielle Fachsituationen sehr detailgetreu und mit
interaktivem Engagement eingeht und dem Schüler durchaus einen zunächst interessanteren
Grammatikunterricht präsentiert.
Jedoch wird einer besonderen pädagogisch- didaktischen Zielsetzung,
nämlich der sinnvollen("Mechanical" vs. "Meaningful" Practice)
Ausreizung des neuen Mediums zur Herausbildung wichtiger bildungs- und
erziehungsrelevanter Prinzipien als Unterbau für das Erlernen des (lebensbegleitenden)
Lernens nicht entsprochen.
Die bloße Abarbeitung von Kapiteln ohne weitere Möglichkeit
themengerechter Verarbeitung einerseits, sowie das Fehlen der Einbindung der verschiedenen
Sozialformen unter entsprechender Verwendung des Programms durch den Pädagogen
andererseits, führt an den Bildungszielen einer demokratischen Gesellschaft vorbei.
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