4. Die Verfahrensordnung des IGH

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Die Verfahrensordnung des IGH entspricht der anderer internationaler Gerichte, wobei das Verfahren in zwei Hauptphasen gegliedert ist: eine schriftliche Phase in der (eventuell in mehreren Runden) Dokumente ausgetauscht werden und eine mündliche Phase, in der eine öffentliche Verhandlung durchgeführt wird. Im folgenden Schaubild wird der Verfahrensablauf in groben Zügen dargestellt54 und anschließend einige wichtige Punkte gesondert erläutert:

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4.1 Einleitung des Verfahrens und vorgängige Einwendungen

Wird ein Verfahren nur von einer Partei begonnen und beruft sich diese Partei nicht auf die obligatorische Zuständigkeit (z. B. nach einer Unterwerfungserklärung) sondern auf eine erst zu gebende Einwilligung, so wird der Streitfall nicht in die allgemeine Liste eingetragen und nichts weiteres unternommen, bis sich der belangte Staat der Zuständigkeit unterworfen hat (Ausfluß der Souveränität: Über keinen Staat soll ohne seine Zustimmung gerichtet werden).

Vorgängige Einreden (preliminary objections) sind alle Einwendungen (außer in der Streitsache selbst), deren Effekt es sein würde, daß keine Erörterung der Sache selbst stattfindet55. Im Hinblick auf die Zuständigkeit durch forum prorogatum (Siehe 2.5.2.1.2) ist zu sagen, daß preliminary objections keine Anerkennung der Zuständigkeit bilden56, da sie nur Verfahrens- und Jurisdiktionsfragen betreffen.

4.2 Besprechung von Verfahrensfragen und Veränderungsvorschläge der Parteien

Gemäß Art. 31 der Verfahrensordnung hat der Präsident mit den Vertretern der Parteien das Verfahren zu besprechen und deren Ansichten festzustellen. Dies hat so früh wie möglich zu geschehen und wann immer es für nötig gehalten wird.

Dies ist im Hinblick auf Art. 101 wichtig, nach dem die Parteien gemeinsam Änderungen am Verfahrensablauf vorschlagen können. Die Entscheidung darüber obliegt jedoch dem Gerichtshof oder der Kammer.

4.3 Schriftliche Phase

Der Hauptteil des Verfahrens besteht aus der schriftlichen Phase, die aus dem Austausch von Schriftstücken besteht. Je nach dem Verfahren, über das die Parteien übereingekommen sind, werden diese gleichzeitig oder hintereinander abgegeben. Wird die Ablieferung hintereinander verwendet, ergibt sich ein mehr streitiges Verfahren (Ankläger und Verteidiger), als wenn beide Parteien zum selben Zeitpunkt ihre Standpunkte absenden (einvernehmliche Streitschlichtung). Die ausgetauschten Dokumente enthalten sowohl eine Erläuterung der Fakten, die rechtlichen Standpunkte als auch die Anträge der Partei und im Anhang alle Beweise57. Bei den Anträgen handelt es sich um detaillierte Formulierungen, wie sich die Partei den Urteilsspruch vorstellt (Der Gerichtshof kann diese verwenden, ist aber nicht daran gebunden; Siehe 2.5.2.5). Früher waren 2 Durchgänge üblich (Memorial, Counter-Memorial, Reply, Rejoinder), während aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung heute nur mehr ein Durchgang üblich ist, aber der Gerichtshof auch beliebig viele weitere zulassen kann.

4.4 Mündliche Phase

An die schriftliche Phase schließt sich die mündliche an, die im Falle einer Kammer auch ausfallen kann (Art. 92 Abs. 3 Verfahrensordnung). Die Staaten werden hier von Anwälten vertreten, die sich von Beratern unterstützen lassen können. Sowohl die schriftlichen wie auch die mündliche Phase sind öffentlich. Die Öffentlichkeit kann jedoch auf Antrag der Parteien durch den Gerichtshof ausgeschlossen werden. In der mündlichen Phase sind Zeugen und Sachverständige zu vernehmen, auch wenn dies bisher nur sehr selten der Fall war. Neue Beweismittel sind jedoch nur in Ausnahmen zulässig (Art. 52 Statut, Art. 56 Verfahrensordnung). In dieser Phase zeigt sich ein Problem, das für die internationale Gerichtsbarkeit typisch ist: Obwohl die wichtigen Standpunkte bereits in der schriftlichen Phase ausgetauscht wurden, wird jeder einzelne Punkt in der mündlichen Phase ausführlich wiederholt und schließlich im endgültigen Antrag noch einmal zusammengefaßt. Dies steht zwar im Gegensatz zur Verfahrensordnung (Art. 60), wird aber immer so gehandhabt58.

4.5 Sonderfälle: Intervention von Drittstaaten und einstweilige Verfügungen

Diese beiden Sonderfälle sind unabhängig vom Gang des Verfahrens und können jederzeit bis zum Urteil beantragt werden.

Drittstaaten können an einem Verfahren unter zwei Voraussetzungen teilnehmen59:

  • Wenn ein Staat in seinen rechtlichen Interessen vom Urteil betroffen werden könnte.
  • Wenn der Abschluß eines multilateralen Vertrages Streitgegenstand ist, sind alle Staaten zu informieren, die Partei des Vertrages sind. Diese haben das Recht zur Intervention.

Nimmt ein Drittstaat am Verfahren teil, so ist das Urteil auch für ihn verbindlich.

Einstweilige Verfügungen (Art. 41 Statut und Art. 73-78 Verfahrensordnung) sollen dazu dienen, daß nicht eine Streitpartei die Ausführung eines etwaigen Urteils durch bestimmte Handlungen unmöglich macht. Sie sind nur möglich, wenn irreparable Schäden drohen (Nicht bei einfacher Behebung oder wenn der Schaden unwahrscheinlich oder nicht unmittelbar drohend ist)60. Ein Problem stellt dar, daß es beim IGH meistens relativ lange dauert, bis die Zuständigkeit festgestellt ist. Es ist daher fraglich, ob vor diesem Zeitpunkt einstweilige Verfügungen möglich sind oder nicht, da diese nur bei gegebener Zuständigkeit erlaubt sind, auch wenn ein dringender Bedarf danach besteht61. Zur Bindungswirkung von einstweiligen Verfügungen siehe auch 2.8.3.

4.6 Urteilsauslegung und Wiederaufnahme von Verfahren

Sowohl eine einzelne als auch beide Parteien gemeinsam können eine Auslegung des Urteils beantragen. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß ausschließlich die bereits erfolgte Entscheidung erläutert wird und über keine zusätzlichen Punkte entschieden wird. Darüber hinaus bleibt auch der Originaltext verbindlich und die Auslegung ändert nichts daran62.

Die Wiederaufnahme ist nur unter besonderen Umständen möglich (Art. 61 Statut):

  • Eine neue entscheidende Tatsache, die nicht aufgrund eines Fehlers der antragstellenden Partei unbekannt war, muß vorgebracht werden,
  • und dies spätestens 6 Monate nach Entdeckung des Faktes geschehen,
  • und zwar insgesamt nicht länger als 10 Jahre nach dem Urteil.

Die Wiederaufnahme kann vom Gerichtshof davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller daß (alte) Urteil erfüllt (Art. 99 Abs. 5 Verfahrensordnung).

Sowohl für den Fall der Urteilsauslegung als auch der Wiederaufnahme ist kein festes Verfahren vorgesehen, sondern der Gerichtshof legt das ihm sinnvoll erscheinende Verfahren fest63.

 

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